Targo Bank:Rentner willfährige Opfer? AD= Alt und Doof?

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A für alt, D für doofVon Hauke Goos
Banker nannten sie „AD-Kunden“, alt und doof: Anleger, die sich von ihren Beratern Lehman-Papiere andrehen ließen – und mit der Pleite ihr Erspartes verloren. Jetzt wehren sich die Geschädigten. Ein erfahrener Kämpfer hilft ihnen dabei.

Frankfurt am Main – Sie sind plötzlich da, wie ein Vogelschwarm, ein paar Minuten vor der vereinbarten Zeit, sie lachen, sie umarmen einander, froh vermutlich, mit ihrer Wut nicht länger allein zu sein. Sie tragen Mützen gegen die Kälte und Tafeln gegen die Gleichgültigkeit dieser Zeit, auf den Tafeln stehen Slogans wie „Falschberatung – Totalverlust“ oder „Geld weg – Vertrauen weg“. Sie haben sich zur einer Mahnwache verabredet, mitten in Frankfurt, für die meisten von ihnen ist es die erste Demonstration ihres Lebens.
Es sind Hausfrauen, Rentner, Lehrerinnen, Klempner, die sich an diesem kalten Februarnachmittag im Stadtteil Bornheim versammeln, Kleinanlegerinnen, Sparer, „Tagesschau“-Guckerinnen, sie sind keine Zocker. Sie wollten Sicherheit, ihr Geld konservativ verwalten, sie wollten sich um ihr Erspartes nicht kümmern müssen, nur vermehren sollte es sich.

Deshalb kauften sie Papiere, die ihre Bankberater ihnen empfohlen hatten, sichere Papiere, ein paar Prozent Zinsen, emittiert hatte die Papiere die US-Investmentbank Lehman Brothers. Dann ging Lehman pleite, im fernen New York, und plötzlich waren sie Teil der Krise. Sie sind der Kollateralschaden. Die Zertifikate, die ihre Bank ihnen verkauft hatte, waren in Wahrheit Wetten.

In manchen Fällen gingen 3000 oder 4000 Euro verloren, zurückgelegt für die Beerdigung. Doch andere haben 10.000 oder 15.000 Euro bei diesen Wetten verloren, manche 30.000, einige 50.000. Sie sind 64, 70 oder 75 Jahre alt, einer steht für seine Mutter in der Kälte, 89 ist die alte Dame, die ihr Erspartes verlor, weil ihr Berater sie in die „Risikogruppe 4“ einstufte, als „spekulativ“.
Sie haben die Papiere Ende 2007 gekauft, manche im Februar oder März 2008, einige im Juni, als viele bei Lehman längst ahnten, dass die Bank das Jahr 2008 als selbständiges Unternehmen nicht überleben würde. Haben sie gewusst, dass es sich bei den Papieren um Zertifikate handelt, dass es ein Emittentenrisiko gibt? Nein.
Im neuen SPIEGEL 11/2009:

Der Jahrhundert- Fehler
Wie die Pleite einer einzigen Bank die Weltkrise auslöste

DER SPIEGEL
Wussten sie, was das ist, ein Zertifikat? Nein.
Haben sie gewusst, dass das Geld weg sein kann? Nein, sagen sie, empört. „Dann hätt‘ ich das doch nie und nimmer gemacht.“ Drei Banken haben an diesem Platz in Frankfurt-Bornheim eine Filiale, die Citibank, die Dresdner Bank und die Frankfurter Sparkasse, es sind jene drei Institute, die in Deutschland besonders eifrig Lehman-Papiere verteilt haben. Die Frankfurter Sparkasse gab zu, an 5000 Kunden Papiere von Lehman verkauft zu haben, für rund 75 Millionen Euro. Papiere, die sie als „absolut sicher“ anpries und die heute absolut wertlos sind.
Die Menschen, die sich hier zu einer Mahnwache versammelt haben, wissen, dass Lehman inzwischen von einem Insolvenzverwalter geführt wird, sie haben gelesen, dass die Einlagen bei der deutschen Lehman-Tochter durch den Einlagensicherungsfonds gedeckt sind, und sie wissen auch, dass das in ihrem Fall keine Rolle spielt, weil Lehman in Deutschland nur institutionelle Anleger hatte, die nun ihr Geld zurückbekommen, keine Kleinanleger – Emittent der Zertifikate, die sie gekauft haben, war das US-Mutterhaus.
„Ich kam zu meinem Berater“, sagt ein alter Mann, „ich hatte für 50.000 Euro gekauft, das war alles, was ich hatte, und der Berater guckt auf seinen Schirm und sagt zu mir: ‚Ihr Konto wurde auf null gestellt.'“ In einem Fall verkaufte ein Bankberater seinem Kunden in Bremerhaven noch am 21. August ein Lehman-Zertifikat, für rund 93.000 Euro. Auf dem Flyer, den er zum Gespräch mitbrachte, war das Rating von Lehman mit A+ vermerkt. Tatsächlich hatte Standard & Poor’s zu diesem Zeitpunkt Lehman schon längst auf A gesenkt, „outlook negative“.
Durchschnittsalter: 64 Jahre
„Sichere Kapitalanlage??? Nie wieder!“ haben die Lehman-Opfer in Frankfurt auf ihre Plakate geschrieben. „Beraten und verkauft durch Bankexperten“.
ZERTIFIKATE …
… gehören zur Anlageklasse der strukturierten Finanzprodukte. Rechtlich gesehen ähneln sie Schuldverschreibungen. Geht der Emittent pleite, droht dem Anleger der Totalverlust, so geschehen im Falle der US- Bank Lehman Brothers. Mit dem Zusammenbruch des Geldhauses sind Zertifikate der Bank für Tausende Anleger in Deutschland wertlos geworden. Die über mehrere Institute in Deutschland vertriebenen Lehman- Zertifikate sind nicht von der hiesigen Einlagensicherung geschützt. Nach Einschätzung der Verbraucherzentralen ist auch aus Insolvenzverfahren gegen die Lehman- Mutter oder Tochterfirmen nicht mit nennenswerten Rückzahlungen zu rechnen.
Und auf einem Schild steht: „Kleinanleger steht hier blank, Räuber sitzen in der Bank.“ Am Abend treffen sich rund 60 Lehman-Geschädigte in einem Versammlungsraum in Frankfurt-Sachsenhausen. Sie haben einen Rechtsanwalt eingeladen, Matthias Schröder von der Kanzlei Leonhardt Spänle Schröder, Experte für Anlagebetrug. Schröder soll ihnen sagen, wie sie sich wehren können, wie sie ihr Geld zurückbekommen. Schröder ist ein großer, schlanker, nüchterner Mann, er hat nach einer Banklehre selbst ein paar Monate als Kundenberater gearbeitet. Während des Referendariats hat er in der Rechtsabteilung der Commerzbank Station gemacht, er hat gelernt, wie man die Schadensersatzansprüche der Kunden abwehrt, er weiß, wie Banken arbeiten.
Die Lehman-Pleite hat ihm Hunderte neuer Mandanten zugeführt. Schröder ist einer der Aufräumer dieser Pleite; er soll die Trümmer sichten und dafür sorgen, dass man über dem Großen und Ganzen die kleinen Anleger nicht aus dem Auge verliert.
A für alt, D für doof
Von Hauke Goos
2. Teil: Lesen Sie im zweiten Teil, welche Möglichkeiten der Anleger-Anwalt sieht, um das Ersparte seiner Mandanten zu retten.
Im Durchschnitt, sagt Schröder, sei der Lehman-Geschädigte 64 Jahre alt. Schröder wird im Juni 40, die Menschen, die in seiner Kanzlei vor ihm sitzen, könnten seine Eltern sein. Sie fühlen sich verraten, sie schämen sich, sie wollen den Banken zeigen, dass man so mit ihnen nicht umgehen kann.
Von den rund 300 Mandanten, die er inzwischen habe, sagt Schröder, seien höchstens 15 noch berufstätig. Der große Rest: Rentner, Menschen, die ihr Leben lang fürs Alter gespart haben. Meistens waren sie seit Jahrzehnten Kunde bei derselben Bank. Sie kannten ihren Berater und vertrauten ihm, das machte sie attraktiv für die Verkaufsstrategen in den Banken. Zwei seiner Mandanten seien von ihren Beratern im Altersheim angerufen worden, sagt Schröder. Der eine hielt Schröder, als der ihn später besuchte, für einen Mann der Sparkasse, „weil Sie auch so nett sind“.
Unterlagen „zum internen Gebrauch“
Schröders ältester Mandant feiert im März seinen 100. Geburtstag. Er habe „beide Weltkriege und den Rübenwinter überlebt“, hat er zu Schröder gesagt, „und jetzt verbrennt die Frankfurter Sparkasse die letzte Kohle“.
Tatsächlich sprachen die Kundenberater untereinander über „die flexible Lehman-Oma“, wenn sie Kunden meinten, denen man so gut wie alles aufschwatzen konnte. Die man anrief, wenn Umsatz gemacht werden musste, wenn irgendwelche Vorgaben zu erfüllen waren und die Zeit drängte. Für die Banker waren das „AD-Kunden“: A für alt und D für doof. „Das waren Zustände“, sagt Schröder, „wie man sie sonst nur aus dem grauen Markt kennt.“
Im neuen SPIEGEL 11/2009:

Der Jahrhundert- Fehler
Wie die Pleite einer einzigen Bank die Weltkrise auslöste

DER SPIEGEL

Zwei Möglichkeiten gibt es, den Kampf gegen die Frankfurter Sparkasse, die Dresdner Bank oder die Citibank vor Gericht zu gewinnen, sagt Schröder. Entweder weist der Kunde seiner Bank vor Gericht eine fehlerhafte Beratung nach, oder er macht glaubhaft, dass der Berater ihm die versteckten Provisionen verschwiegen hat.
Schröder hat einen Aktenordner mitgebracht, Papiere sind darin, die er sich besorgt hat, die ihm Bankmitarbeiter geschickt haben, weil man sich kennt in Frankfurt, teilweise sind es vertrauliche Papiere, „nur zum internen Gebrauch“, Beweismaterial. Er nimmt eine E-Mail heraus, geschrieben von einem Bankberater drei Monate vor der Pleite. In der Mail verspricht der Berater die „Absicherung des investierten Kapitals durch 100 Prozent Kapitalschutz am Laufzeitende“.
Die Aussichten seien gut, sagt Schröder, diesen Prozess zu gewinnen.
Tatsächlich haben die meisten Kunden von dem Risiko, ihren gesamten Einsatz zu verlieren, nichts gewusst. Anders als bei Fonds gibt es bei Zertifikaten ein Emittentenrisiko: geht der Emittent pleite, wird automatisch auch das Zertifikat wertlos. Es gab keinen hundertprozentigen Kapitalschutz, das haben die Lehman-Anleger inzwischen gelernt.
„Einziger riesiger Beschiss“
Schröder hält seinen Ordner in die Höhe. Es gebe einen ausführlichen Prospekt, sagt er, jeder Emittent muss ihn bei der Bundesaufsichtsbehörde für das Finanzwesen, kurz Bafin, hinterlegen.
„Die Schuldverschreibungen unterliegen keinem Kapitalschutz“, steht dort, auf Seite 1, gefettet. „Ein teilweiser Verlust oder ein Totalverlust des eingesetzten Kapitals ist möglich.“ Die Käufer von Zertifikaten sollten Erfahrungen haben mit Derivaten, Optionen und Optionsscheinen, heißt es weiter hinten in dem Prospekt, unerlässlich vor dem Kauf sei „eine Beratung durch die eigenen Rechts- und Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und sonstige Berater“. Im Saal ist ein Raunen zu hören.
In dem Flyer, den einige der Lehman-Opfer mit nach Hause nehmen durften, ist von Risiken keine Rede.
Die Methoden, mit denen die Banken die Lehman-Papiere in den Depots langjähriger Kunden abgeladen haben, findet Schröder „pervers“ und „skrupellos“.
Der einzige Sinn von Zertifikaten bestehe darin, dass sie der Bank ermöglichen, richtig abzukassieren, ohne dass die Kunden etwas merken. „Das sind Standard-Gagaprodukte“, sagt Schröder. „Da können Sie als Anleger gar nicht dran verdienen. Sie wetten halt gegen Superprofis.“ Sein Ziel sei es, zu belegen, „dass Zertifikateverkauf in Deutschland ein einziger riesiger Beschiss war“, sagt Schröder in seinem Frankfurter Büro. „Und ich habe überhaupt keine Sorge, dass wir damit nicht durchkommen.“

Quelle:Zitate sind aus dem Spiegel